Ninas Story - April 2020
Du arbeitest am Medizinischen Institut in Bern als Statistikerin und schreibst an deiner Dissertation in Epidemiologie. Was hat sich nun bei dir durch die Coronakrise geändert?
Eine grosse Umstellung ist, dass wir seit Wochen vom Homeoffice aus arbeiten. Auch Meetings finden nur noch virtuell statt. Das ist nicht ganz einfach, da der Arbeitsplatz im Büro weitaus besser eingerichtet ist als jener bei mir zuhause. Am meisten fehlt mir der Arbeitsweg. Es fühlt sich komisch an, vom Bett sozusagen direkt ans Pult zu sitzen, sich so wenig zu bewegen. Auch die Kaffee- und sonstigen Schwatz-Pausen mit meinen Bürogspändli vermisse ich. Am Institut für Sozial- und Präventivmedizin beschäftigen wir uns generell mit möglichen Infektionskrankheiten und deren Epidemien. Im Moment ganz klar viel und intensiv mit SARS-CoV-2 / COVID-19. Mehrere Leute am Institut erarbeiten Entscheidungsgrundlagen für das BAG und den Bund. Ich selber konzentriere mich seit Wochen auf statistische Analysen von Daten des BAG, um herauszufinden: Gibt es Risikofaktoren bei positiv Getesteten, die eher zu deren Hospitalisierung, zu einem Aufenthalt auf der Intensivstation oder zum Tod führen?
Als Wissenschaftlerin ist es spannend, einmal direkt am Puls der Zeit zu sein und einen Einblick in die gewaltige Forschung zu erhalten, die in diesem Moment gerade stattfindet. Trotzdem freue ich mich auch darauf, mal wieder ein Wochenende ohne Arbeit zu verbringen – hoffentlich.
Persönlich beschäftigt mich diese Ungewissheit.
Die Frage, wie lange das Ganze andauern wird. Eine Mitte April im Science Journal veröffentlichte Studie hat beispielsweise davon gesprochen, dass es gut möglich sei, dass wir bis ins 2022 mit verlängertem oder zumindest periodischem Social Distancing werden leben müssen. Und sogar falls wir glauben, die Krankheit eliminiert zu haben, ein Wiederaufleben dieser bis in 2024 möglich sei.
Anhand dieser Studie wird mir nun je länger je mehr bewusst, dass es nicht sicher ist, ob ich Ende nächstes Jahr irgendwo im Ausland ein Postdoc machen kann, wann und wohin ich mal wieder in die Ferien verreisen kann, wie lange ich gefährdete Personen, wie meine Grosseltern nicht besuchen darf, meine Familie und Freunde nicht umarmen sollte.
Ich finde diese Ungewissheit ist schon etwas nervenaufreibend.
Was nehme ich mit?
Im Moment, denke ich, gibt mir die ausserordentliche Lage die Möglichkeit, scheinbar Wichtiges und Unwichtiges neu zu betrachten. Dadurch, dass einem das Treffen mit Freunden und Familie nicht mehr „erlaubt“ ist, merkt man erst, wie viel einem diese Beziehungen bedeuten. Und man merkt, dass das Leben unberechenbar ist – man kann noch so gut planen, es kann immer irgendetwas Unerwartetes passieren und alles wird anders. Und zum Schluss noch, dass Langeweile auch ganz schön ist und wir nicht jede Minute unseres Lebens für etwas „Sinnvolles“ verwenden müssen. Dass wir auch einfach mal ab und zu NICHTS tun sollten. Das alles, denke ich, wäre schön aus der Krise mitzunehmen. – Aber mal schauen, vermutlich ist man dann schneller wieder in seinem 0815 Alltag als man denkt.
Worauf ich mich freue?
Ich müsste da wohl sagen aufs Theater. Aber nein, klingt zwar kitschig, aber ganz ehrlich: Ich freue mich auf eine riesige, ganz lange Umarmung mit meiner Familie. Und am zweitmeisten – aufs Zürcher Nachtleben! Und, dass ich mich in Zukunft als Epidemiologin vorstellen kann, ohne dass gleich alle fragen, was das denn sei.
